Long Covid und meine Reise zurück ins Leben

16. Juni 2024

Dies ist meine Geschichte, wie ich nach zwei Jahren postviraler Fatigue heilen konnte. Ich schreibe sie, um allen Mut zu machen, die vor derselben Herausforderung stehen. Möge dieser Bericht Zuversicht spenden und vielleicht ein Hinweis auf eurem Heilungsweg sein. Die Ansätze darin sind ayurvedische Therapie, Ernährung nach Anthony William und das NLP-Training «Lightning Process».

Ich war 33 Jahre alt, als ich im Februar 2022 an Corona erkrankte. Ich war doppelt geimpft, wofür ich mich mitunter entschied, da mein Bruder seit seiner Corona-Erkrankung im Januar 2021 an Long Covid litt. Die Krankheit verlief als heftige Grippe während zwei Wochen mit ausgeprägter Erschöpfung und wandernden Symptomen – Husten, Schnupfen, Kopfschmerzen, Geschmacksverlust – ohne weitere Komplikationen. Doch in den Monaten danach blieb eine bleierne Erschöpfung, das permanente Gefühl eines angeschwollenen Kopfes, Schwindel, Herzklopfen und einen schnell steigenden Puls. Wenn ich an besseren Tagen versuchte zu Joggen, zu Staubsaugen oder mit dem Fahrrad an den Bahnhof zu fahren, verschlechterten sich die Symptome jedes Mal. Hinzu gesellten sich Bauchkrämpfe, Druck auf den Ohren, Enge in der Brust, Schlafstörungen, Gehirnnebel, ein verschwommener Blick, eine gestörte Temperatur-Regulierung und eine hohe Empfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen. Eine seltsame Reihe von Symptomen, für die meine Ärztin keine Erklärung hatte, ausser: Long Covid.

Eine mysteriöse Krankheit
Long Covid ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Symptomen, die Monate oder Jahre nach einer Coronavirus-Infektion bestehen bleiben. Ihr Schweregrad reicht von erhöhter Erschöpfung im Alltag bis hin zu Bettlägrigkeit in völlig abgedunkelten Räumen mit starken Schmerzen und Sondenernährung. Erst später würde ich erfahren, dass meine Symptome kein neues Phänomen waren, sondern seit mindestens einem Jahrhundert viele Menschen still leiden lassen. Am häufigsten werden sie als Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS) diagnostiziert, sofern sie nicht als Einbildung abgetan werden, weil es keine biologischen Marker dafür gibt. Eine Virusinfektion ist einer der möglichen Auslöser, ebenso wie bakterielle Infektionen, emotionale Traumata, Stress oder gewisse Impfstoffe, wobei auch eine genetische Veranlagung diskutiert wird.

Da mein Bruder zu diesem Zeitpunkt bereits erfolglos zwei Reha-Aufenthalte, etliche Besuche bei schulmedizinischen Spezialisten und ein CT hinter sich hatte, sah ich darin wenig Hoffnung. Bereits früh und während fast einem Jahr probierte ich es mit Homöopathie, jedoch ohne Erfolg. Eine erste Besserung erfuhr ich nach vier Monaten. Es war Frühling, ich war umgezogen, habe fünf Tage lang gefastet, viele Atemübungen und sanftes Yoga gemacht. Mitte Juni ging es mir so gut, dass ich mit dem Zug nach Berlin reisen konnte, und auf dem Rückweg fühlte ich mich so gesund, dass ich nichts weiter dachte, als ich am Basler Bahnhof von meinem verspäteten ICE mit schwerem Gepäck auf den Anschlusszug sprintete. Zwei Tage später hatte ich einen Tag lang Fieber und Halsschmerzen. Und dann waren all die Symptome wieder da. Hinzu kamen diesmal starke Muskelverspannungen, eine hohe emotionale Reizbarkeit und eine leicht zu triggernde Wut.

Ein tiefer Fall
Ich sagte Arbeitsaufträge und Reisen ab. Ich startete auf Empfehlung einer Long-Covid-Betroffenen eine Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie und nahm Supplemente. Zu der Therapie hatte ich eine Stunde Weg und sollte 15 Minuten auf einem Standfahrrad mit einer Sauerstoff-Maske leicht pedalen, während mein Puls und meine Laktat-Werte überwacht wurden. Nach jedem Mal ging es mir etwas schlechter. Und nach dem dritten Mal kam der grosse Crash. Ich konnte keine 20 Meter mehr gehen ohne starke Symptome. Und in der Nacht erwachte ich hyperventilierend mit Atemnotgefühl, das sich erst nach anstrengenden Stunden wieder legte. Von da an verbrachte ich zwei Monate lang zuhause und pendelte zwischen Bett, Küche und Hängematte. Wenn es gut ging, konnte ich eine halbe Stunde lang lesen. Oder lustlos durch Youtube-Shorts scrollen. Ich nahm Artemisia Annua und machte Mittags einen Leberwickel. Doch das Einzige, was half, war völlige Ruhe. Für Tage, für Wochen, für Monate. Zum Herbst hin liessen die Symptome allmählich etwas nach. Im September versuchte ich es erneut mit Fasten. Obwohl ich nach drei Tagen abbrach, weil die Symptome zu stark wurden, erlebte ich eine leichte Besserung. Ich konnte wieder gemächlich mit dem Hund spazieren. Doch an Arbeiten war nicht zu denken.

Ich erinnere mich an meinen 34. Geburtstag. Es war ein regnerischer Herbsttag. Meine Eltern kamen zu Besuch und wir gingen an den nahe gelegenen See, wo wir auf einem Kinderspielplatz unter einen Kletterturm kauerten, um Schutz vor dem Regen zu suchen. Es war eines der wenigen Male in meinem Erwachsenenleben, dass ich vor meinen Eltern geweint habe. Alle meine Worte wurden zu Tränen und Schluchzern. Seit sieben Monaten lag mein Leben auf Eis, waren meine Pläne abgesagt, verbrachte ich meine Tage in einer verschwommenen, einsamen Leere. Niemand schien die Ursache dieser mysteriösen Krankheit zu kennen, zu wissen was sie heilen würde, und über meinem Schicksal schwebte die düstere Vorstellung, dass sie unheilbar sein könnte.

Noch im Sommer erzählte mir jemand von ayurvedischen Kliniken in Indien. Und im Herbst ging ich einmal die Woche in eine ayurvedische Massage. Das fühlte sich gut an. Auch wenn die 30-minütige Hinreise mit dem Zug anstrengend war. Und wenn ich den Fussgängerstreifen überquerte, fühlte ich mich mindestens 90 Jahre alt und war überzeugt, die Autofahrer halten das für eine Provokation. Da ich in der Schweiz keinem verlässlichen Heilungsansatz begegnete und ohnehin grösste Sehnsucht nach der Fremde verspürte, entschied ich mich für eine Kur in der Klinik Ayurveda Yoga Villa in Kerala. Ich bin in meinem Leben viel gereist und war fünf Jahre zuvor schon einmal in Indien. Das Land fühlte sich vertraut an. Und ich plante die Reise minutiös: Taxi zum Flughafen, 6 Stunden Flug nach Doha, 24 Stunden Ruhe im Hotel, 4 Stunden Flug nach Calicut, 3 Tage Ruhe im Hotel, 4 Stunden im Taxi zur Klinik. Am 2. Januar 2023 kam ich dort an.

Heilungsreise nach Indien: Ayurvedische Therapie
Die ersten drei Wochen waren extrem anstrengend. Meine Diät bestand lediglich aus Kürbissuppe, süsser Limette und Wassermelonen, und mein ohnehin schlanker Körper verlor 7 Kilo. Ich erhielt täglich einen Einlauf, Selleriesaft, eine Massage sowie eine bittere antivirale und schwermetall-bindende Rindenmischung, welche die Klinik während der Corona-Pandemie eigens entwickelte. Ich pendelte die Tage zwischen Bett, Behandlungsraum, Hängematte und Esstisch. Ich war extrem schwach. Nach zwei Wochen wollte ich alles abbrechen. Ich hielt meine Behandlung für äusserst inkompetent und hatte keine Hoffnung, dass sie mich heilen würde. Nur der Zuspruch einer Mitpatientin und ein Arztwechsel liessen mich bleiben.

Als ich endlich wieder einigermassen normal essen durfte, kam als erstes die Freude zurück. Die Symptome waren noch da, meine Spaziergänge beschränkten sich auf wenige hundert Meter, da war dieser konstante Druck auf meinen Ohren und ich schlief nur vier oder fünf Stunden. Aber die Freude war zurück. Die Dankbarkeit, für die ich ein frühmorgendliches Ritual kreierte. Und ich hatte Lust zu tanzen. Ich bestellte mir Bluetooth-Kopfhörer. Zuerst wippte ich nur leicht hin und her, bis ich mich immer intensiver zu bewegen traute. Das intuitive Tanzen sollte mich von diesem Tag an bis heute begleiten. Darin gelang es mir, mich intensiver zu bewegen und gleichzeitig ganz entspannt zu bleiben, so dass ich darauf keinen Crash erlebte. Die täglichen Yoga-Stunden machte ich hingegen nicht mit, da ich die Tage danach jeweils eine Verschlechterung und Muskelschmerzen hatte.

Ich blieb zweieinhalb Monate. Entlassen wurde ich ein Stück besser als ich angekommen war. Und mit einem strikten Ernährungsplan: Einen halben Liter Selleriesaft nach dem Aufstehen, Sprossen zum Frühstück, Salat und Gemüse zum Mittagessen, verschiedene Supplemente, kein Zucker, keine weissen Kohlenhydrate, kein Gluten, keine Milchprodukte und kein Fleisch. Mein Geist pendelte zwischen Zweifel und Zuversicht, an der noch immer die lähmende Vorstellung nagte, dass Long Covid unheilbar ist. Da ich Indien verlassen musste, suchte ich mir einen entspannten Strandferienort in Sri Lanka für meine weitere Rekonvaleszenz. Ich konnte einigermassen entspannt reisen, doch meine Belastungstoleranz blieb tief und die Frustration und Trauer darüber stieg allmählich wieder an. Nach zwei Monaten ging ich noch einmal für zwei Wochen in eine ayurvedische Klinik, diesmal in das luxuriösere Sen Wellness in Sri Lanka, und wurde mit Einläufen, Kräutern, Massagen, Bädern und Akupunktur behandelt. Danach zog ich von der Sommerhitze an der Küste in die milden Berge.

Und endlich kam der Aufschwung. Die Symptome verschwanden. Meine Spaziergänge dehnten sich aus. Ich tastete sorgfältig meinen neu gewonnenen Belastungsradius ab. Ich stieg sogar ein paar Hundert Meter auf einen kleinen Berg. Einen Monat später konnte ich in einem klapprigen Bus während drei Stunden in ein Kloster reisen. Symptomfrei. Nur Sport vermied ich weiterhin, da ich darauf in den Tagen danach mit Symptomen reagierte – ausser beim Tanzen. Es folgten zwei weitere Monate symptomfreier Sommer-Reise-Freude. Ich ging zurück nach Indien, verbrachte einen Monat in Auroville, radelte unter der brennenden Sonne bei 40°C durch die Gegend und ass wieder vermehrt was ich wollte, auch zwei Eier zum Frühstück. Ich taumelte durch Mumbais Grossstadt-Dschungel und flog nach Rishikesh am Fusse des Himalayas, um bei einem indischen Handanalyse-Lehrer zu lernen. Am Flughafen schrieb ich meinen Eltern: Long Covid ist vorbei. Ich dachte, ich sei endlich zurück im Leben.

Der zweite Rückfall
Dann kam eine schlaflose Nacht mit feiernden Touristen vor meinem Zimmer. Der emotionale Stress einer harschen Zurückweisung, als ich mich darüber beschwerte. Draufgepackt auf vier schlecht geschlafene Nächte. Am nächsten Tag wurde ich krank. Und eine Woche später waren all die Symptome wieder da: Die Erschöpfung, der Druck im Kopf, das Herzklopfen, die Geräuschempfindlichkeit, die Schwindelgefühle, die Schlaflosigkeit. Ich verbrachte eine Woche in einem ayurvedischen Wellness-Ressort mit wenig ärztlicher Kompetenz, in dem ich für kerngesund erklärt wurde. Dann reiste ich zurück in die Klinik in Kerala. Ich kam an meinem Geburtstag an und wurde kurz darauf nochmal krank. Für eine intensivere Behandlung war ich zu schwach. Der Ort schien diesmal nicht mehr der richtige für mich. Also flog ich drei Wochen später zurück in die Schweiz, mit einer ebenso minutiös geplanten Reise, diesmal in der Business-Class. Bei der Ankunft ging es mir nur leicht besser als bei der Abreise neun Monate zuvor.

Was ich aber in meinem mentalen Reisegepäck mit dabei hatte, war ein Heilungsansatz, dem ich fest vertraute. Einige Monate zuvor wurde ich von einer Frau auf Anthony William aufmerksam gemacht, die sich von schwerer chronischer Müdigkeit heilte, indem sie seinen Protokollen folgte. Als Medical Medium erlangte Anthony William in den USA eine gewisse Berühmtheit, indem er eine Erklärung und einen ernährungs-basierten Heilungsansatz für viele chronische Krankheiten vertritt, welche er der Stimme eines Geistes in seinem Ohr entnimmt. Soweit so mystisch. Doch da die Ernährungsempfehlungen meines ayurvedischen Arztes, die mich zu drei symptomfreien Monaten führten, auf ihn zurückzugehen schienen – insbesondere der morgendliche Selleriesaft – gab ich ihm einen Vertrauensvorschuss und begann während meinem Rückfall in Indien seine Podcasts zu hören. Zurück in der Schweiz las ich eines seiner Bücher und fand eine plausible Erklärung meiner Symptome mit einer eindrücklich präzisen und mit meiner Wahrnehmung übereinstimmenden Schilderung der Vorgänge im Körper: Eine latente chronische Entzündung der Nerven, ausgelöst durch neurotoxisch wirkende Abbauprodukte eines reaktivierten Epstein-Barr-Virus, mitbedingt durch giftige Schwermetalle, eine schlecht entgiftende Leber, erschöpfte Nebennieren und getriggert durch Adrenalinschübe. Er empfiehlt eine antivirale und leberreinigende Ernährung, wonach insbesondere Gluten, Milchprodukte, Eier und radikale Fette vermieden werden sollten, zugunsten von viel Gemüse, Früchten, Selleriesaft und spezifischen Supplementen.

Es folgten vier Monate mit Gemüsesaft, Entgiftungs-Smoothies, Sprossen, Wildkräutern, Supplementen und Rohkost, in denen es mir mal etwas besser, mal etwas schlechter ging, während das rohe Gemüse meiner Verdauung zu schaffen machte, der Zitronensaft meinen Zähnen und der Winter meiner Psyche. Meine Belastungstoleranz blieb tief und arbeiten war undenkbar. Ich verbrachte die Zeit in meinem alten Kinderzimmer bei meinen Eltern und beobachtete, wie die Blätter von den Bäumen fielen. Den Regen. Den Wind. Die Wolken. Während die Tage vor sich hin zogen. Ich verliess das Haus nur für Spaziergänge im Wald. Glücklich darüber, dass immerhin dies wieder möglich war.

Neue Hoffnung: Der Lightning Process
Im Januar 2024 fiel mir ein Buch von Gwendolin Reinicke in die Hände. Darin las ich erstmals von einem Training namens Lightning Process welches bereits tausenden Menschen mit ME/CFS zur Heilung verholfen habe und auch die Autorin innert weniger Wochen von einer jahrelangen chronischen Fatigue befreite – durch die Regulierung des Nervensystems mithilfe eines mentalen Trainingsprozesses. Ich war skeptisch, aber neugierig. Und ich brauchte wirklich einen neuen Ansatz, da ich das Gefühl hatte, festzustecken. Ich hörte den Audio-Einführungskurs des Entwicklers Phil Parker. Und einen Monat später reiste ich nach Genf für ein dreitägiges Training. Es war meine erste Bahnfahrt seit meiner Ankunft in der Schweiz.

Die ersten Stunden im Kurs waren anstrengend. Nur dasitzen und zuhören beanspruchte mein System sehr. Doch bereits nach dem zweiten Tag war meine Belastungstoleranz merklich gestiegen. Am dritten Tag reiste ich am gleichen Abend nachhause und konnte mich nach einer Regulierung der aufkommenden Symptome am Abend sogar noch mit meinen Eltern unterhalten. In den Wochen darauf stiegen meine Kapazitäten laufend an und die Symptome nahmen ab. Ich konnte wieder Auto fahren, ohne mich betrunken zu fühlen. Nach zwei Wochen konnte ich erstmals wieder länger am Computer arbeiten. Ich feierte die ersten 500 Meter, die ich joggen konnte, ohne darauf einen Crash zu erleben. Den ersten Kilometer, die ersten zwei Kilometer, die ersten fünf Kilometer…

Der Lightning Process ist ein faszinierendes Trainingsprogramm, welches vor 25 Jahren vom Gesundheitspsychologen Dr. Phil Parker entwickelt wurde. Es vermittelt ein Verständnis sowie einen spezifischen Ablauf, wie man durch eine Veränderung mentaler Zustände körperliche Prozesse beeinflussen kann – quasi die bewusste Anwendung des Placebo-Effekts. Durch gezielte Veränderungen von Gedankenzuständen können neuronale Abläufe trainiert werden, welche das Nervensystem entspannen und Heilungsprozesse ankurbeln. Der Ansatz basiert auf Methoden der Neurolinguistischen Programmierung (NLP) sowie Erkenntnissen der Psycho-Neuro-Immunologie und Neuroplastizität. Er geht davon aus, dass gewisse chronische Krankheiten einerseits mit entsprechend trainierten neuronalen Prozessen zusammenhängen und andererseits, insbesondere bei CFS, mit sich reproduzierenden Stresszuständen im Nervensystem, die uns in einem Kampf-Flucht-Modus festhalten und Heilungsprozesse sowie das Immun-, Verdauungs- und Schlafsystem schwächen. Dies bedeutet nicht, dass die Krankheit oder deren Ursache psychischer Natur sind. So ist der Auslöser beispielsweise im Fall von Long Covid ein Virus. Durch eine gezielte Einflussnahme auf neuronale Abläufe mittels mentaler Zustände kann jedoch den dadurch ausgelösten Krankheitsmustern entgegengewirkt und die Heilung gefördert werden.

Die Freude über ein neues Leben
Ich begann diesen Beitrag zu schreiben, um meine erste 8 Kilometer lange Jogging-Runde zu feiern. Am selben Tag hatte ich zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder eine Masterarbeit fertig redigiert – in meinem alten Beruf als freischaffender Lektor. Heute, vier Monate nach dem Lightning Process, laufe ich regelmässig 10 Kilometer. Ich war sogar fünf Stunden an einem Demonstrationszug durch Berlin angesichts des Horrors in Gaza – mit all der emotionalen Intensität und gewaltsamen Festnahmen von friedlichen Protestierenden durch die Polizei. Fünf Monate zuvor konnte ich nicht einmal eine Diskussion mit einer Freundin zu diesem Thema führen, da jeglicher emotionaler Stress zu tagelangen Symptomverschlechterungen führten.

Es ist nicht alles einfach vorbei. Manchmal kommen die Symptome zurück – nach intensiven Reizen, Infektionen, Frustration, Kaffee zur falschen Zeit, einer Betäubung beim Zahnarzt oder einem stressfördernden mentalen Zustand beim Sport, in sozialen Interaktionen oder bei der Arbeit. Doch kann ich diese Symptome heute innert weniger Stunden regulieren, womit sie rasch nachlassen, zu keinen Kaskaden führen und immer seltener auftreten. Und ich fühle mich mit einem Werkzeug und einer Erfahrung ausgerüstet, welche mich über die Gesundheit hinaus kraftvoll auf dem Weg in ein Leben unterstützt, das ich wirklich liebe.

Dies ist die Schilderung meines persönlichen Heilungsweges. Ich wollte sie möglichst authentisch belassen, mit all ihren Windungen, Hoffnungen und Enttäuschungen, da ich der Meinung bin, dass es auf eine so komplexe Erkrankung wie Long Covid keine Standard-Heilung gibt. Jede und jeder wird ihren oder seinen eigenen Weg finden müssen. Was es aber gibt, und was ich mit dieser Geschichte vermitteln möchte, ist Hoffnung und die Möglichkeit, zu heilen. Ich fand mich in diesen zwei Jahren in sehr vielen dunklen Momenten wieder, in denen die Möglichkeit einer Heilung in schier unerreichbarer Ferne zu liegen schien, und doch mein wichtigstes Werkzeug blieb – zusammen mit der liebenden Akzeptanz dafür, wie es gerade ist, mit der Ruhe, dem Rückzug, dem Pacing, der Gelassenheit und dem Vertrauen in den Prozess.

Ich schreibe diese Worte mit tiefem Mitgefühl für alle, welche von dieser Krankheit betroffen sind und zu leiden haben. Mein Bruder liegt in einem komplett abgedunkelten Zimmer direkt über mir Tag und Nacht im Bett. Er kann seit über einem Jahr die Wohnung nicht verlassen, muss die meiste Zeit einen Gehörschutz tragen und kann nur das nötigste über Sprachnachrichten kommunizieren. Er kann weder lesen, noch auf einen Bildschirm schauen noch länger als einige Sekunden einem zuhören. Sein Nervensystem reagiert auf die geringsten Reize mit starken Schmerzen. Ich weiss nicht, wie sein Weg aussehen wird, aber ich glaube tief daran, dass es für ihn, dass es für alle einen Weg aus dieser Krankheit geben kann.

In Dankbarkeit für den Moment, in dem ich heute angekommen bin, für all die Unterstützung, die ich erfahren durfte, mit viel Mitgefühl für die Reise dahin und für alle unterwegs.

Sonnenaufgang in der Ayurveda-Klinik Udayagiri in Kerala, Indien.

Beginn meiner Reise nach Indien.

Handelesen mit Murali, einem meiner Therapeuten in Udayagiri.

Endlich wieder richtig essen! Nach drei Wochen Kürbissuppe…

Mit Savan, einem Mitpatienten, und schwarzen Zähnen von Supplementen.

Zurück in Udayagiri an meinem Geburtstag im September 2023

Dämonen vertreiben – nach den ersten 500 Metern joggen, zwei Wochen nach dem Lightning Process.

Zurück im Leben – Juni 2024